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Artgesellschaften bei Mäusen - meine Erfahrungen

von links nach rechts: Farbmaus, Vielzitzenmaus, Dunkle Nil-Stachelmaus, Sinai Stachelmaus
von links nach rechts: Farbmaus, Vielzitzenmaus, dunkle Nil-Stachelmaus, Sinai Stachelmaus

Nennt man, aus welchem Grund auch immer, einen unkastrierten bzw. unkastrablen Farbmausbock sein Eigen, steht man vor dem großen Problem dass man ihn art- und tierschutzwidrigerweise alleine halten müsste, sollte auch eine Vergesellschaftung mit Langzeitkastraten nicht möglich sein. In solchen Fällen hat es sich im letzten Jahrzehnt etabliert, diese Böcke mit Vielzitzen- oder Stachelmäusen zu vergesellschaften. So können sie bis zu einem gewissen Grad ihr Sozialverhalten ausleben und Isolationsstress wird vermieden.

Allerdings werden Artgesellschaften im Allgemeinen nur in diesem speziellen Fall akzeptiert, sie gelten als absolute Notlösung, die es anderenfalls unbedingt zu vermeiden gilt.

Aufgrund meiner langjährigen Erfahrungen bin ich anderer, ja sogar gegenteiliger Meinung: wann immer möglich halte ich mehr als nur eine Mäuseart pro Käfig, ich ziehe Artgesellschaften der artreinen Haltung vor.

(Voraussetzung ist selbstverständlich dass jede Art auch eigene Artgenossen zur Verfügung hat - ich lehne es grundsätzlich ab, andere Arten als "Ersatz" für Artgenossen zu verwenden.)


Warum?

 

Auch ich gehöre zu denjenigen, die eine Artgesellschaft zunächst deshalb zum ersten Mal in Erwägung gezogen haben, um einem einsamen Farbmausbock vorübergehend Gesellschaft in Form von Vielzitzenmäusen zu ermöglichen.

Die Tiere schienen mit dieser Situation aber so zufrieden zu sein, dass ich diese Konstellation auch danach noch beibehielt. Ich stellte fest, dass sowohl Farb- als auch Vielzitzenmäuse innerartlich stabiler und weniger stressanfällig waren als in artreiner Haltung. Und beide Arten verhielten sich gegenüber der anderen wie gegenüber Jungtieren - die andere Art wurde besonders intensiv geputzt und umsorgt, viel mehr als die eigene, und einige Farbmausweibchen verteidigten die viel größeren Vielzitzenmäuse sogar mit den Zähnen, wie sie es bei ihren eigenen Babys tun würden - und umgekehrt natürlich sowieso.

Die jeweils andere Art scheint also die nochnicht geschlechtsreifen Tiere eines Rudels zu ersetzen, die in Haustierhaltung ja ansonsten unnatürlicherweise fehlen. Das ist wohl einer der Gründe für das entspanntere Zusammenleben unter der eigenen Art - es steht nichtmehr jede einzelne Maus mit jeder anderen in Konkurrenz, sondern es gibt, genau wie im natürlichen Verband, auch "neutrale" Tiere - insbesondere rangniedere Tiere wissen das sehr zu schätzen und es mindert ihren sozialen Stress beträchtlich.

Auch können sie ihr Brutpflege- und Schutzverhalten ausleben, was in Haustierhaltung mangels Jungtieren ansonsten ja leider nicht möglich ist.

 

Aber das ist nicht das einzige Verhalten das sie in einer Artgesellschaft, im Gegensatz zur artreinen Haltung, ausleben können. Regelmäßig ist zu beobachten, dass es sogar zu Paarungen zwischen Farb- und Vielzitzenmäusen kommt und sich regelrechte "Liebespaare" bilden.

Farbmausbock mit Vielzitzenmausweibchen
Farbmausbock mit Vielzitzenmausweibchen
Vielzitzenmausbock mit Farbmausweibchen
Vielzitzenmausbock mit Farbmausweibchen

Ganz trocken betrachtet sind unterschiedliche Arten füreinander also hervorragendes Environmental Enrichment, und wie auch moderne Zoos (auch dort gibt es aus diesem Grund Artgesellschaften) bin ich der Meinung dass Tiere in Gefangenschaft soviel wie möglich davon haben sollten, und da bietet sich eine Artgesellschaft an - denn besseres Enrichment kann es kaum geben.

 

Von Missverständnissen bemerkt man zwischen Farb- und Vielzitzenmäusen praktisch nichts - sie kommunizieren nämlich auf nahezu identische Weise. Das Auffordern zum Putzen, das Tailrattling, Dominanz- und Unterwerfungsgesten, das Spielverhalten, Ausdrücke des Wohlbefindens usw. sind bei beiden Arten genau gleich.

Unterschiedlich ist aber natürlich die Ultraschalllautgebung. Diese scheint aber keine allzu große Rolle zu spielen, auch innerartlich nicht, denn sie ist schließlich nicht immer möglich. Viele Farbmäuse leiden im Alter an Hörverlust, was in "normaler" Haustierhaltung aber überhaupt nicht auffällt. Meist schreibt man die scheinbar geringere Schreckhaftigkeit altersbedingter Gelassenheit und höherer Zahmheit zu - erst durch das Clickertraining fiel mir auf, dass ältere Farbmäuse mitunter sehr schlecht hören.

Und bei Vielzitzenmäusen ist ohnehin fraglich inwiefern sie in der Hinsicht miteinander kommunizieren können. Der Grund dafür ist dass unsere Vielzitzenmäuse womöglich Arthybriden zwischen M. coucha und M. natalensis sind und eines der Unterscheidungsmerkmale zwischen diesen Arten ihre unterschiedliche Ultraschalllautgebung ist.

 

Etwas anders sieht die Sache meiner Erfahrung nach aus wenn Stachelmäuse und Farb- oder/und Vielzitzenmäuse aufeinander treffen.

Obwohl auch sie in ähnlicher Weise kommunizieren, kann es zu Missverständnissen aufgrund unterschiedlicher Verhaltensweisen und Bedürfnisse kommen.

Stachelmäuse sind z.B. im Vergleich zu den genannten anderen Arten wenig verkuschelt und man beobachtet sie auch nur selten beim gegenseitigen Putzen. Ausserdem sind sie absolut keine Nestbauer, ihnen reicht zum Ruhen ein Ast oder, wenn's besonders gemütlich sein soll oder eine Geburt ansteht, eine flache Kuhle in der Streu. Und graben ist ihnen im Gegensatz zu den anderen Arten völlig fremd, sie tun es nie.

Aus der Not heraus habe ich einmal trotzdem übergangsweise einen Farbmausbock für ca. eine Woche mit Sinai Stachelmäusen vergesellschaftet. Aber der Kleine verstand die Welt nichtmehr, als die Stachelmäuse seine Kuschelattacken nicht erwiderten und nichts davon hielten von ihm mit Nistmaterial zugedeckt zu werden - letztendlich waren sie davon sogar so genervt dass der Farbmausbock ein Ohrpiercing erhielt.

 

Da meine Stachelmäuse aber auszusterben drohen - meine jetzigen Nilstachelmäuse waren schon seit ich sie 2012 übernommen hatte nur zu zweit und meine Sinai Stachelmäuse sind es seit ein paar Wochen, und es hierzulande sehr schwierig ist eine Gruppe zu finden in die sie vermittelt werden könnten, entschied ich mich dazu einen neuerlichen Versuch zu wagen. Vorallem die beiden Sinais wurden zu zweit nämlich sehr träge, wirkten geradezu depressiv, was sich auch durch Gewichtszunahme zeigte.

Diesmal sieht das Ganze aber deutlich vielversprechender aus, anscheinend besteht doch ein Unterschied darin ob eine einzelne Farbmaus als "Eindringling" in eine größere Stachelmausgruppe kommt oder umgekehrt ein Stachelmauspaar in eine große Gruppe anderer Arten.

Ich konnte sogar schon mehrfach beobachten dass die Stachelmäuse Farb- und Vielzitzenmäuse putzten - ein Verhalten das man innerartlich unter adulten Tieren wie gesagt nur selten sieht und deshalb darauf hindeutet, dass auch Stachelmäuse andere Arten für Jungtiere halten. Und fleissig gekuschelt wird auch:

Vier Arten teilen sich ein Haus
Vier Arten teilen sich ein Haus

Diesmal habe ich die Arten (also die jeweils zwei Sinai- und Nilstachelmäuse zu einer bestehenden Farb-/Vielzitzenmausgruppe) allerdings nicht klassisch vergesellschaftet sondern nur gegenkonditioniert, was wohl auch eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat - sie verknüpfen schließlich die anderen Tiere nun mit etwas Angenehmem anstatt mit Stress.

 

Aber da gibt es ein großes Problem: bis auf die Sinais werden alle meine Mäuse ad libidum ernährt. Das ist für Sinais ungeeignet, vorallem da sie sich in den letzten Wochen ohnehin schon Übergewicht angefuttert haben.

Die Lösung ist aber sehr simpel: wie gesagt graben Stachelmäuse nicht. Die Futterbestandteile die sie nicht im Übermaß fressen sollten werden also ganz einfach in einer Buddelkiste serviert - was ich bei den anderen Arten sowieso schon vorher zur Beschäftigung getan habe, es ist für sie also nichts Neues sich einen Teil ihres Futters erbuddeln zu müssen.

Es scheint gut zu klappen: in der einen Woche die sie nun mit den anderen Arten zusammenleben, haben sie erfreulicherweise sogar schon leicht abgenommen. Mit ein Grund scheint auch zu sein, dass sie schlagartig wieder agil wie junge Hüpfer geworden sind, die Anregung durch die anderen Arten scheint ihnen sehr gut zu bekommen. Hier sieht man die beiden beim gemeinsamen "Sporteln" mit ihren neuen Vielzitzenmauskumpels:

Nachtrag vom 19.5.2014:

Die Bindung der Stachelmäuse zu den anderen Arten ist inzwischen sogar noch deutlich gewachsen, sie werden unheimlich intensiv gepflegt und sogar beschützt. Besonders mein ältester, fast blinder Vielzitzenmausbock ist zu ihrem Liebling geworden, und wird er von einem anderen Bock geärgert, stellen sich die Stachelmäuse im Kreis um ihn rum, genau wie sie es bei neugeborenen Jungtieren machen. Erstaunlich dass sie sich anderen Arten gegenüber soviel fürsorglicher zeigen als untereinander - Stachelmäuse können scheinbar sehr "tierlieb" sein.

Sinai Stachelmäuse Asali und Shaitani kümmern sich rührend um "ihren" VZM-Senior.
Sinai Stachelmäuse Asali und Shaitani kümmern sich rührend um "ihren" VZM-Senior.

Was muss man bei Artgesellschaften beachten?

  • unterschiedliche Kräfteverhältnisse

Die hier genannten Arten unterscheiden sich teils deutlich in Körpergröße und -kraft. Vorallem Vielzitzenmäuse haben aufgrund dessen dass für sie natürlicherweise Angriff die beste Verteidigung ist, besonders kräftige Kiefer und scharfe Zähne. Die kleinen Farbmäuse könnten entsprechend böse Verletzungen davontragen, sollten sie von einer Vielzitzenmaus angegriffen werden.

Bei Vergesellschaftungen muss man also besondere Vorsicht walten lassen.

 

  • Ernährung

Auch was die Ernährung angeht haben unterschiedliche Arten natürlich manch unterschiedliche Bedürfnisse, z.B. was tierische Proteine oder Obst angeht. Solche Futterbestandteile können aber, wenn nötig, entweder direkt per Hand/Löffel zugefüttert oder auch nur im Auslauf der jeweiligen Art angeboten werden. Ansonsten lassen sich, zumindest bei den hier genannten Arten, aber recht leicht Kompromisse finden, ihre jeweiligen Speisezettel unterscheiden sich schießlich nicht viel.

Arten bei denen dies aber der Fall ist, eignen sich nicht für eine Vergesellschaftung.

 

  • Friedfertigkeit

Eine Selbstverständlichkeit sollte sein, dass Artgesellschaften nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn die jeweiligen Arten artfremden Tieren gegenüber nicht grundsätzlich aggressiv reagieren oder sie gar als Beute betrachten könnten. Mongolische Rennmäuse oder Ratten sind für Artgesellschaften z.B. vollkommen ungeeignet!

 

  • Platzangebot

Artgesellschaften sind nicht das Richtige wenn man meint dadurch eine Platzersparnis zu haben, da man ja nur einen Käfig braucht. Vorallem dann wenn die Arten das Bedürfnis haben einander auch mal aus dem Weg zu gehen, ist ein enormes Platzangebot nötig - der Käfig muss also sogar größer sein bzw. nimmt mehr Platz ein als es mehrere Käfige mit nur je einer Art tun würden.

 

  • Einrichtung

Natürlich muss die Käfigeinrichtung so gestaltet werden, dass die Bedürfnisse aller Arten erfüllt sind - Farbmäuse brauchen z.B. genügend Buddel- und Stachelmäuse genügend Klettermöglichkeiten.

Ein Augenmerk muss man auch auf Öffnungen und Hauseingänge haben - es muss sichergestellt sein, dass die größere Art darin nicht steckenbleiben kann, gleichzeitig sollten sie aber klein genug sein damit auch das Sicherheitsbedürfnis der kleineren Art erfüllt ist.

Kokosnuss
Sinai Stachelmaus, Nil-Stachelmaus und Farbmaus - die Attraktivität von Kokosnüssen ist artübergreifend.

Mein Fazit

Die ablehnende Haltung die Artgesellschaften im Großteil der Mäusecommunity entgegengebracht wird ist meiner Meinung nach grundsätzlich unbegründet. Sie resultiert meist aus fehlender persönlicher Erfahrung bzw. der Annahme, unterschiedliche Arten könnten nichts miteinander anfangen und würden einander eher stressen.

Dabei profitieren Mäuse mindestens genauso von der Anwesenheit einer anderen Art, wie wir Menschen von Haustieren.

In ihrer Welt gibt es nichts zwischen (Fress-)Feind und Artgenosse. In sie also hineinzuinterpretieren, sie "wüssten" dass die Mäuse der anderen Art nicht ihrer eigenen angehörten bzw. hätten überhaupt einen Artbegriff, und ihnen darüber hinaus sogar "Rassismus" zu unterstellen, halte ich für vermenschlichend.

Meiner Meinung nach sollten Artgesellschaften von darin unerfahrenen Haltern also nicht als regelrechtes Schreckgespenst dargestellt werden, das nur im schlimmsten Notfall gerechtfertigt ist, sondern man sollte auch ihre großen Vorteile kennen und bedenken und es daher nicht von vornherein verurteilen, wenn diese auch ohne Not praktiziert wird. Tiere verlieren durch das Zusammenleben mit anderen Arten schließlich keinerlei Lebensqualität, sondern profitieren im Gegenteil in diverser Hinsicht davon.