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Die 4 Geschlechter der Afrikanischen Knirpsmaus

 

Schon lange vor meiner eigenen Knirpsmaushaltung (wahrscheinlich die Art Mus minutoides) war ich höchst fasziniert von einer der nämlich unzähligen, verblüffenden Besonderheiten dieser Tiere: Ihr Geschlecht wird nicht wie das der allermeisten anderen Tiere durch das Y-Chromosom bestimmt, sondern stattdessen durch ein modifiziertes X-Chromosom!

 

Während dieses außergewöhnliche Merkmal auf den meisten internationalen Haustier-Infoseiten "natürlich" zumindest erwähnt wird, besteht ausgerechnet im deutschsprachigen Raum scheinbar garkein Interesse daran, falls man überhaupt davon weiß. Das ist insofern erstaunlich, als dass hier meist versucht wird, Afrikanische Knirpsmäuse (in der Natur je nach Quelle entweder solitär oder monogam lebend - eine weitere Besonderheit!) in riesigen Gruppen zusammen zu halten und man für solche Experimente besser wissen sollte, welche weiblichen Geschlechter man überhaupt daheim hat bzw. heimzuholen gedenkt...

 

 

Von Weibchen, Superweibchen und weiblichen Böcken

Zum Verständnis später noch wichtige, kleine Auffrischung aus dem Biologieunterricht:

Das Geschlecht von Säugetieren (sowie auch das vieler anderer Tiere) wird durch ihre Geschlechtschromosomen bestimmt, welche nach den Mendel'schen Regeln vererbt werden (das mit den gelben, grünen und verschrumpelten Erbsen). Welches Geschlecht ein Säugetier hat, steht dadurch von Anfang an fest (anders als z.B. bei Schildkröten, bei welchen das Geschlecht erst durch die Temperatur des Geleges bestimmt wird).

 

Weibchen tragen zwei X-Chromosomen, sind also XX (homozygot).

Ist ein Tier hemizygot bzw. trägt ein X- und ein Y-Chromosom (XY), ist es männlich, weil ein bestimmter Abschnitt dieses Y-Chromosoms (das SRY-Gen alias "sex determining region of Y") dem Tier männliche Geschlechtsmerkmale wie Hoden usw. verpasst.

Das Geschlecht eines Tieres bestimmt somit das Y-Chromosom!

 

Die Afrikanische Knirpsmaus dagegen besitzt nicht nur 2 Geschlechtschromosomen, sondern gleich 3 verschiedene, nämlich X, X* und Y! Und dieses, weitere X*-Chromosom lässt das Tier umgekehrt verweiblichen!

Bei Afrikanischen Knirpsmäusen bestimmt also, wenn vorhanden, stattdessen das X*-Chromosom das Geschlecht!

Für Säugetiere ist das höchst ungewöhnlich, nur ganz wenige solcher Fälle (bisher nur unter Kleinnagern) sind bekannt, und selbst unter diesen wenigen ist die Knirpsmaus ein Sonderfall - später mehr dazu.

 

Durch das 3. Geschlechtschromosom sind auch mehr "Geschlechter" möglich als nur zwei (Einfärbung zur Verdeutlichung des Phänotyps):

 

1. XX - Weibchen (ganz "normale" Weibchen)

2. XX* - Weibchen ("Superweibchen")

3. X*Y - Weibchen ("weibliche Böcke")

4. XY - ganz "normale" Böcke

 

Ausgerechnet an den (primären) Geschlechtsmerkmalen - äußerlich wie innerlich - sind diese 3 weiblichen Geschlechter untereinander absolut nicht zu unterscheiden, selbst ihr Anogenitalabstand ist exakt gleich.

 

Unterscheidbar sind die weiblichen Geschlechter teils aber anhand anderer körperlicher Merkmale, sowie ihres Verhaltens!

 

"Weibliche Böcke" (X*Y) sind in Paar- oder gar Gruppenhaltung wohl am beachtenswertesten, da nämlich nicht ganz so friedliebende Schüchtis wie man es von Knirpsmädchen aufgrund ihrer zierlichen Winzigkeit erwarten würde (und im Falle der braven XX- und XX*-Weibchen auch zurecht), sondern zeigen deutlich verminderte Angst und sind ausgesprochen aggressiv und bissig.

 

Ihre vermehrten Bisse können zu allem Übel auch noch überdurchschnittlichen Schaden anrichten.

Messungen zufolge - ja, man hat das bei diesen nur wenige Gramm leichten Tierchen tatsächlich gemessen wie schon bei Rottweilern und Krokodilen! - ist nämlich auch ihre Beißkraft (teils vielfach!) höher als die aller anderen Geschlechter!

Dadurch besonders gefährdet sind natürlich (weibliche) Artgenossen. Anders als Gruppentiere wie die eng verwandten Farbmäuse, sind schließlich nicht nur männliche, sondern auch weibliche Knirpsmäuse über gleichgeschlechtliche Gesellschaft eher not amused. Und X*Y - Weibchen werden sich gewiss nicht schämen, das bei Bedarf auch zu zeigen.

 

Ursächlich für die "Monster-Beißkraft" dieser kleinen Furien ist die unterschiedliche Schädelgröße und -form von X*Y-Weibchen. Kein Witz, der Schädel dieser Tiere weist exakt die gleichen Merkmale auf wie der von Kampfhunden!

Der Kopf wirkt im Vergleich zu dem anderer Weibchen also massiger, der Nasenrücken ist kürzer und die Stirn größer und breiter (wodurch zugleich der Augenabstand größer ist).

Hierdurch lassen sich "weibliche Böcke" also auch rein optisch und ohne sie berühren zu müssen recht gut von "echten" Weibchen unterscheiden.

 

Neben dem Sozialverhalten, der Schädelform und der Beißkraft gibt es aber noch einen vierten Unterschied - und dieser ist, wie oben erwähnt, sogar innerhalb der kleinen Handvoll anderer Kleinnager mit diesem Chromosomensystem ein Kuriosum:

X*Y-Weibchen, also Weibchen mit einem männlichen Geschlechtschromosom, sind "super-fruchtbar". Sie werfen häufiger und ihre Würfe sind im Schnitt größer.

 

Auf den zweiten Blick ist das sogar noch viel erstaunlicher als es ohnehin schon am ersten Blick scheint, denn - deshalb hatte ich es einleitend erwähnt - die Geschlechtschromosomen vererben sich nach den Mendel'schen Regeln, was in dem Fall, also einem Y-Chromosom bei beiden Eltern, bedeutet dass zwangsläufig ein Viertel der Babies von X*Y- Weibchen stirbt! (Da sich lebenswichtige Gene nur am X-Chromosom befinden, sind YY-Tiere nicht lebensfähig.) Dennoch sind ihre Würfe im Schnitt größer!

 

Andere Tiere, welche als phänotypische Weibchen aufgrund eines Defekts ein Y-Chromosom tragen, sind übrigens umgekehrt sogar unfruchtbar - was ja eigentlich wenig überraschend ist. Das gilt wohlgemerkt auch für eine enge Verwandte der Knirpsmaus, unsere Farbmaus, wenngleich zumindest deren dann ebenfalls maskulines Sozialverhalten dem der Knirpsmaus ähnelt.

 

Ein Erklärungsversuch für die sogar höhere Geburtenrate von X*Y-Knirpsmäusen besteht in eben diesem, "machohaften" Sozialverhalten, genauer gesagt ihrer weit überlegenen Durchsetzungskraft und ihrer aktiven, extroviertieren Persönlichkeit, was ihr wohl mehr Paarungsgelegenheiten verschaffen dürfte.

 

Man kann bei dieser Mäuseart sogar sagen, dass normale Weibchen, also XX (und XX*) sozusagen nur ein "unerwünschtes Nebenprodukt" sind. Aufgrund dessen, dass eine Knirpsmaus nur mit "normalem" X-Chromosom phänotypisch männlich sein kann, fallen nunmal zwangsläufig immer auch "normale" Weibchen. Diese können dadurch trotz ihrer deutlichen Unterlegenheit in jeder Hinsicht zwar niemals aussterben, ihre Halbwertszeit scheint in Anwesenheit von X*Y-Weibchen allerdings eher gering zu sein, da man sie in Knirpsmaus-Populationen bisweilen garnichtmehr(!) finden kann.

 

 

Was bedeutet das für die Haustierhaltung?

Aufgrund ihrer Extrovertiertheit und ihrer reduzierten Ängstlichkeit scheinen X*Y-Weibchen - und diese machen gewöhnlich 75% aller Knirpsmausweibchen aus - theoretisch besonders gut als Haustiere geeignet.

Aus obigen Gründen sind diese Tiere aber selbstverständlich völlig ungeeignet für Großgruppen-Haltungsexperimente (deren Sinnhaftigkeit und vorallem Tierschutzkonformität ohnehin auf einem ganz anderen Blatt steht).

 

Ähnlich wie bei Mongolischen Rennmäusen, scheinen in Haustierhaltung bei den monogamen Afrikanischen Knirpsmäusen auch gleichgeschlechtliche Paare stabil und entspannt sein zu können (alles darüber kann, wie auch bei Mongolischen Rennmäusen, leicht und überaus heftig kippen).

Während Bock-Paare dennoch in "Profi"-Händen am besten aufgehoben sind, kann man Weibchen-Paare grundsätzlich auch AnfängerInnen empfehlen. Allerdings tut man gut daran, sozusagen "gegen seinen Instinkt" zu handeln und beim Züchter nicht ausgerechnet die kräftigsten Weibchen die am wenigsten Scheu zeigen zu wählen, sondern sich umgekehrt die schüchternen Schwächlinge rauszupicken!

Die mutmaßliche Verträglichkeit bzw. Integrierbarkeit von Knirpsmaus-Böcken ist dagegen, wie auch bei vielen anderen Arten (darunter Ratten), ganz einfach an der Farbe der Hoden "abzulesen" (bei Vielzitzenmäusen übrigens stattdessen im Ohr!) - je stärker pigmentiert, desto höher aktuell ihr Testosteronspiegel und umgekehrt.

 

Für die auch im Labor für Knirpsmäuse gängige Einzelhaltung, welche bei dieser Art grundsätzlich KEIN Problem darstellt, scheinen X*Y-Weibchen aufgrund ihres Wesens und Verhaltens dagegen besser geeignet als "normale" Weibchen, bzw. ähnlich gut wie Böcke.

Entgegen landläufiger Warnungen stirbt eine Knirpsmaus nicht an - vermenschlichend - "Einsamkeit", sondern sie stirbt umgekehrt, sowohl direkt als auch indirekt, an sozialem Stress in Gruppenhaltung!

(Und keine Sorge, aufgrund einer dahingehenden Besonderheit ihrer Thermoregulation sind Knirpsmäuse trotz ihrer winzigen Größe und zierlichen Gestalt auf keine mäusischen Wärmequellen angewiesen. Sogar wenn sie in der Natur bei Temperaturen um 0°C die ganze Nacht allein in einer Lebendfalle zubringen müssen, nehmen die Tiere nicht nur keinerlei Schaden, sondern fallen dabei auch nicht wie andere Mäuse in einen Torpor! Und eine dauerhafte Einzelhaltung bei 15°C erwies sich im Labor ebenfalls als völlig unproblematisch.)

 

Mögliche Haltungsstrategien, mittels derer sich (Dauer-)Nachwuchs bei gemischtgeschlechtlicher Haltung, in Anlehnung an ihre natürlichen Lebensbedingungen, vermeiden lässt - auch in der Natur pflanzen sich Knirpsmäuse schließlich nur einen (Bruch-)Teil des Jahres fort - sind derzeit bei mehreren, sachkundigen KnirpsmaushalterInnen verschiedentlich "in Arbeit". Bis dahin ist gemischtgeschlechtliche Paarhaltung, obwohl besonders artgerecht und noch dazu chromosomenunabhängig, wie auch bei anderen Mäusen für die Haustierhaltung nicht empfehlenswert.

 

Über die Kastration einer Knirpsmaus - bei Farbmäusen zur Vermeidung von Einzelhaltung üblich - hat sich meines Wissens nach noch kein(e) TierärztIn getraut - womöglich schon allein deshalb gut so, weil zweifelhaft scheint, ob und bei welchem Geschlecht kastrierte Tiere einer monogamen Art überhaupt Akzeptanz finden könnten, und für Knirpsmäuse gilt das natürlich umso mehr!

Vasektomien sind im Haustierbereich selbst bei großen Allerweltstieren wie Hunden leider noch "exotisch" und die Vorstellung einer solchen OP bei Knirpsmäusen daher eher belustigend als realistische Option.

 

Da Knirpsmäuse (wenn sie keine Jungen großziehen) nicht-ortsgebundene Streuner sind die sozusagen "jede Nacht in einem anderen Bett" schlafen, ist jedoch für jedes Haltungssystem essentiell, ansonsten schnell auftretenden "Lagerkoller" zu vermeiden. In meiner eigenen Bockhaltung löse ich das bisher mittels ganznächtlichem, großflächigem, abwechslungsreichem Auslauf, die Tiere fühlen sich so augenscheinlich pudelwohl und sind (auch) untereinander tiefenentspannt.

 

 

Was bedeutet das für die Zucht?

Das kommt ganz darauf an, welches Ziel man verfolgt. Wünscht man möglichst häufigen, zahlreichen und dabei kräftigen Nachwuchs, z.B. zwecks Futtertier-Zucht, sind X*Y-Weibchen als Zuchttiere sicherlich die ideale Wahl.

 

Legt man dagegen besonderen Wert auf massakerfreies Sozialverhalten, tut man stattdessen gut daran, das "böse" X*-Chromosom aus der Zucht zu eliminieren (aber mir zuliebe bitte nicht aussterben lassen, denn wer meinen Mäusegeschmack kennt, ahnt bestimmt längst: X*Y-Knirpsmäuse sind genau "meine Mädchen" <3 ). Der Chromosomensatz der Weibchen lässt sich durch Testverpaarungen, bzw. das Geschlechterverhältnis in deren Würfen, ermitteln [Die entsprechende Kenntnis der Mendel'schen Regeln nehme ich bei ZüchterInnen hiermit als gegeben an].

 

Da Dauervermehrung Knirpsmäusen schlecht zu bekommen scheint (HalterInnenkreisen zufolge ist ihre Fitness und Lebenserwartung dadurch drastisch reduziert) ist es übrigens empfehlenswert, den Bock noch vor der Geburt (Achtung - Knirpsmäuse tragen nur 19 Tage!) vom Weibchen zu separieren, um diesem die nötige Zuchtpause zu verschaffen. Gute Erfahrungen gibt es in internationalen Haustierkreisen damit, den Tieren dabei Sichtkontakt zueinander zu ermöglichen.

Da eine Trennung durch (Volieren-)Gitter "sogar" die verwandten, besonders sozialen Farbmäuse nachweislich mehr stresst als "nur" Sichtkontakt (und sogar mehr als komplette Isolation!), sollte man bei eventuellen, dahingehenden Versuchen das Wohlbefinden der Tiere stets gut im Auge behalten.

 

 

 

  

...So, und das wäre erstmal nur eine herausragende Besonderheit der unscheinbaren kleinen Knirpsmaus, seid auf viele weitere (teils ja schon angeschnitten) gespannt!