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Neophobie

 

 

Neophobie? Nein, danke!
Neophobie? Nein, danke!

Ein regelmäßig angeführtes Argument gegen Clickertraining mit Mäusen – zumindest wenn es ausserhalb ihres Käfigs stattfindet - ist deren Neophobie. Das bedeute, dass sie Angst vor allem Neuen ausserhalb ihres Käfigs hätten, ja sogar Angst ihr „Revier“ überhaupt zu verlassen.

Dass das in der Form garnicht stimmen kann, sollte jedem auch nur mäßig erfahrenen Mäusehalter eigentlich schon der bloße Hausverstand sagen. Denn wozu sonst wären dann überhaupt Käfiggitter erforderlich, noch dazu solche mit möglichst geringem Abstand? – Wieso quetschen sich Mäuse durch die allerkleinsten Öffnungen, nutzen jede sich bietende Gelegenheit um auf Erkundungstour ausserhalb ihres Käfigs zu gehn, wenn sie doch ach so revierbezogen sind, ach so große Angst vor Neuem haben?

 

 

Leider wird der Begriff „Neophobie“ in gewissen Farbmauskreisen immer wieder (bewusst?) falsch und missbräuchlich verwendet, (bewusst?) völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

Daraus werden fatalste Schlüsse gezogen, etwa dass Mäuse keinesfalls Auslauf haben dürfen und sie vor jedem Ungewohnten beschützt werden müssen. Und das obwohl Studien eindruckvoll belegen, dass Auslauf für in Gefangenschaft gehaltene Mäuse die mit Abstand wichtigste Beschäftigungsmöglichkeit ist und allen anderen vorgezogen wird.

Man hat z.B. festgestellt, dass bei Zimmertemperatur gehaltene Mäuse zugunsten von Auslauf sogar den Nestbau vollkommen vernachlässigen, also einen – wie man bis dahin dachte - absolut essentiellen Trieb.

 

Im Gegensatz zu dem der meisten anderen Tiere ist das mäusische Erkundungsverhalten auch nicht triebgebunden, das heisst es wird z.B. ganz unabhängig von Partner- oder Nahrungssuche ausgelebt – denn es ist ihr ureigenster Trieb!

 

Daher werden Mäuse als neophile Tiere bezeichnet.

Neophilie ist das exakte Gegenteil von Neophobie und bezeichnet die Sucht nach Neuem.

 

Und Mäuse sind nach Neuem tatsächlich wortwörtlich süchtig:

 

Während der Suche danach werden bestimmte, körpereigenene Drogen ausgeschüttet, die der Maus ein Hochgefühl bescheren. (Die Ausschüttung stoppt übrigens in dem Moment in dem sie tatsächlich auf Neues stößt – der Weg ist ihr Ziel, das Suchen also das eigentlich Befriedigende, nicht das Finden!)

In der Folge erhöht sich auch die Anzahl der entsprechenden Rezeptoren, also die „Andockstellen“ für diese Substanzen - und das bedeutet wiederum dass die Maus eine immer höhere Dosis ihrer körpereigenen Drogen benötigt...

 

Mäuse sind nicht nur neugierig, sondern neusüchtig!

 

Und genau darin besteht auch ihr Erfolgsgeheimnis:

Durch ihre beispiellose Neugier waren Mäuse in der Lage, sich über den gesamten Erdball zu verbreiten, bis in die entlegensten und unwirtlichsten Gebiete vorzudringen.

 

 

 

Woher kommt der Begriff "Neophobie"?

 

Im Bezug auf Mäuse bezeichnet Neophobie

 

1. die Angst vor Neuem, wenn es in ihrer ganz unmittelbaren, vertrauten Umgebung, also innerhalb ihres Reviers/Käfigs auftaucht, vorallem aber

 

2. die Angst vor unbekannter Nahrung.

 

Wahrscheinlich haben wir Menschen wildlebenden Mäusen und Ratten dieses Verhalten „anerzogen“, indem wir sie seit Jahrtausenden zu vergiften und in Fallen zu locken versuchen. Dadurch haben sie nämlich gelernt, jedem Gegenstand, der plötzlich in ihrer unmittelbaren, bereits ausgiebig erkundeten Umgebung auftaucht, erstmal mit größtem Misstrauen zu begegnen - es könnte eine Falle sein!

 

Aus demselben Grund sind wilde Mäuse ausgesprochen vorsichtig gegenüber unbekannter Nahrung und haben sogar ausgeklügelte Sicherheitsmaßnahmen entwickelt – es könnte sich immerhin um tödliches Gift handeln!

 

 

Was bedeutet Neophobie für die Mäusehaltung?

 

Im Bezug auf domestizierte Farbmäuse: Nichts.

Denn Neophobie ist bei ihnen laut Studien kaum bis garnichtmehr vorhanden.

 

 

Ganz anders verhält es sich jedoch bei Wildfängen oder/und nicht-domestizierten Mäusearten:

 

Für sie bedeutet es enormen Stress, wenn in ihr Gehege neue Einrichtungsgegenstände hinzukommen oder vorhandene umgestellt werden.

Und Wildfänge bestimmter Arten hungern sich angesichts unbekannter Nahrung sogar zu Tode!

 

 

Auch die Neophobie meiner Nilstachelmäuse, also einer nicht-domestizierten Art, hat mir schon etliche Nerven geraubt.

Hier ein Beispiel an dem vielleicht klar wird, welche Auswirkungen Neophobie in der Praxis hat:

 

Diese neugierigen, flinken und hochintelligenten Mäuse sind dank ihrer verblüffenden Sprungkraft schon mehrfach ausgebüchst, sei es direkt aus ihrem Gehege oder dem (vermeintlich) gesicherten Auslauf.

Kein Problem – dachte ich – denn als unverbesserliche Neugiernasen wären sie förmlich „gezwungen“ in eine Lebendfalle zu gehn, ich würde sie „einfach“ mit ihren eigenen Waffen schlagen.

 

Wie auch bei ausgebüchsten Farbmäusen habe ich also an Stellen, an denen sich die Ausbrecher bevorzugt aufhielten (wie z.B. mein Modem, auf dem sie sich genüsslich wärmten), je eine „Trip-Trap“-Mausefalle postiert.

Aber natürlich blieben alle leer.

Wie mir wohl oder übel bewusst wurde, hatte ich nämlich die ausgeprägte Neophobie meiner Nilstachelmäuse nicht berücksichtigt, die ihrem Erkundungsdrang in dieser Situation im Wege stand. Da die Fallen so „zufällig“ in bereits erkundetem Gebiet auftauchten, rochen sie förmlich die Gefahr.

 

Deshalb gewährte ich ihnen nun absichtlich Zutritt zu unentdeckten Gefilden, ließ z.B. „versehentlich“ einen Schrank und die Tür zum Flur offen. Dorthin stellte ich exakt dieselben, scheinbar furchteinflößenden Fallen, mit immernoch denselben Ködern... Ich hatte mich kaum umgedreht, schon waren die Nilstachelmäuse gefangen!

 

 

 

 

Quellen und Lesenswertes:

 

R. Ramamurthi, Geethabali: Readings in behavior

 

A. Neuberger, E. L. Tatum: Frontiers of biology, Band 38

 

Hanna Augustsson, Bengt J. Meyerson: Exploration and risk assessment: a comparative study of male house mice (Mus musculus musculus) and two laboratory strains

 

James G. Fox: The Mouse in Biomedical Research: History, wild mice, and genetics

 

René Misslin, Marc Cigrang: Does neophobia necessarily imply fear or anxiety?

 

J.-P. Kronenberger, J. Médioni: Food neophobia in wild and laboratory mice (Mus musculus domesticus)

 

M. T. Bardo, R. L. Donohew, N. G. Harrington: Psychobiology of novelty seeking and drug seeking behavior

 

 

 

 

Mein persönliches Fazit

Auch wenn es vielleicht etwas radikal klingen mag - so hoch neophilen Tieren wie Mäusen das Ausleben ihres ausgeprägten Erkundungsdrangs bewusst vorzuenthalten, wie traurigerweise in gewissen Kreisen propagiert, obwohl die Maus es offensichtlich will (denn sonst müsste man sie ja wohl kaum einsperren) und man die Möglichkeiten dazu hat, halte ich für hart an der Grenze zur Tierquälerei.

Denn "Novelty seeking" ist nunmal ihr angeborenes, natürliches Verhalten, das ihr gesamtes Wesen bestimmt. Und ein Tier bewusst daran zu hindern seine ureigensten Bedürfnisse auszuleben, kann man meiner Meinung nach nicht als artgerechte Haltung bezeichnen.

 

Wie sagte H. Pechlaner so schön: "Tierquälerei beginnt schon bei der Missachtung der natürlichen Bedürfnisse von Tieren."

 

 

 

Clickertraining ausserhalb des Käfigs?

Für mich ist Clickertraining ausserhalb des Käfigs wenn möglich zu bevorzugen. Der Käfig ist nämlich der Ruhebereich meiner Mäuse, der nur ihnen ganz allein gehört - der Mensch hat darin meiner Meinung nach nichts verloren.

 

Wie gestört sich Mäuse von der menschlichen Hand in ihrem Käfig fühlen, zeigen viele sehr deutlich: Legt man die Hand in ihren Käfig, schaufeln sie Streu darauf oder versuchen sie sonst irgendwie zuzudecken. Sie tun mit der menschlichen Hand also dasselbe wie mit verdorbenem Obst, stinkenden Kloecken, verstorbenen Artgenossen und allem anderen, das sie unbedingt loswerden wollen, aber nicht wegtragen können.

Das sollte einem zu denken geben!

 

Auch Vielzitzenmäuse sollte man im Interesse der eigenen Gesundheit in ihrem Revier nicht stören und ihren Willen respektieren.

 

Um sich mit seinen Mäusen zu beschäftigen und sie stressfrei zu trainieren, eignet sich der Auslauf besser.